Parkanlage des Familistère in Guise, Copyright: CRTC Hauts-de-France - Guillaume CrochezNordfrankreich, Familistère in Guise, Parkanlage
©Nordfrankreich, Familistère in Guise, Parkanlage|CRTC Hauts-de-France - Guillaume Crochez

Aus einer gesellschaftlichen Utopie wird Wirklichkeit

Erniedrigende Arbeitsbedingungen, Schmutz, Kleinbürgertum und Konkurrenzdenken: Es sind die sozialen Fragen der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts, die den Fabrikbesitzer und Intellektuellen Jean-Baptiste André Godin auf einen utopischen Gedanken bringen: Was wäre, wenn Arbeiter mit ihren Familien solidarisch unter guten Bedingungen gemeinschaftlich wohnen, arbeiten, lernen und einkaufen könnten?

Familie blickt von Balustrade auf das Godin-Schwimmbad im Familistère von Guise, Nordfrankreich. Copyright: CRTC Hauts-de-France - Nicolas BryantNordfrankreich, Familistère von Guise, Schwimmbad
©Nordfrankreich, Familistère von Guise, Schwimmbad |CRTC Hauts-de-France - Nicolas Bryant

Das wohnkonzept des familistère de guise

Gedacht, getan: Für die Mitarbeiter seiner Ofenfabrik im nordfranzösischen Guise erbaut Godin 1860 einen Gebäudekomplex, der bis heute in seiner Art einzigartig ist: das Familistère in Guise in Nordfrankeich. Drei Wohnpavillions, die insgesamt 500 Wohnungen umfassen, zwei Schulen, ein Kindergarten, ein Bade- und Waschhaus sowie Geschäfte mit allem, was man im Alltag brauchte, und die von den Bewohnern selbst bewirtschaften wurden. Außerdem gibt es ein Theater sowie grüne Gärten. Eine Stadt im Miniaturformat entsteht. Auch Godin selbst zog damals hier ein. Noch heute sind einige der Wohnungen bewohnt.

Entdecken Sie das museum und das leben im familistère damals und heute

Die Dauerausstellung „Vom Schloss der Herzöge bis zum Palast für die Gesellschaft: das Familisterium in der Stadt“ beschreibt die Idee und ihre Entwicklung von der sozialen Utopie bis zur Wirklichkeit. Sie können die Wohnung von Jean-Baptiste André Godin, das Bade- und Waschhaus sowie den zentralen Pavillon mit der öffentlichen Infrastruktur und die Gärten besuchen. Außerdem zeigt das Museum zahlreiche temporäre Ausstellungen.
Lebhaft ist das Familistère dank des Tourismus auch heute: In den Restaurants und im Café des Gebäudekomplexes können Besucher heute wie die Bewohner damals zu Mittag essen.
Für die kulturelle Untermalung ist das Theater perfekt: Nach seiner Renovierung bietet es wieder Lebensqualität, Unterhaltung und eine hervorragende Akustik wie vor 150 Jahren. Hier finden sie die Theater-Aufführungen der aktuellen Saison.

Wer war Jean-Baptiste André Godin (1817 – 1888)?

Geboren 1817 als Sohn eines Schmiedes wächst Jean-Baptiste André Godin in Nordfrankreich in bescheidenen Verhältnissen auf. Schon mit elf verlässt er die Dorfschule, um im Betrieb seines Vaters und auf den Feldern zu helfen. Als Schmied arbeitet Godin später unter anderem in Paris, Bordeaux und Lyon. Die Gesellschaft seiner Zeit enttäuschte ihn. Denn er empfindet die Arbeits- und Lebensbedingungen als erniedrigend. Deshalb beschäftigen ihn die sozialen Fragen seiner Zeit mehr und mehr.

 

Die philosophie der wohngenissenschaft entsteht

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt der französische Theoretiker und Reformer Charles Fourier die frühsozialistische Idee einer Produktions- und Wohngenossenschaft namens Phalansterium, in dem Menschen gemeinschaftlich wohnen, arbeiten und konsumieren. Wie eine Miniaturstadt stellt er sich diesen Gebäudekomplex vor: mit öffentlichen Einrichtungen wie einer Bibliothek, Gärten und Geschäften in dem einen Bereich sowie Wohnungen in dem anderen Flügel. Ziel ist die Vergemeinschaftlichung von Arbeit und Kapital. Damit steht diese Art zu denken in krassem Kontrast zu Kleinbürgerlichkeit und Konkurrenzdenken.

Von der Idee zum bewohnten Familistère

Schon in den 1840er Jahren ist Jean-Baptiste André Godin von dieser sozialen Utopie begeistert. Er bezeichnet sich selbst als „phalanstérien“. 1846 gründet er eine eigene Ofenfabrik in Guise, nur 15 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Die Firma zählt bald knapp 200 Mitarbeiter. 1857 erwirbt er das große Grundstück an den Ufern des Flusses Oise in Guise. Die Fläche liegt genau gegenüber seiner Ofenfabrik. Hier konzipiert er in Anlehnung an Fouriers Phalansterium das „Familistère de Guise“, das 1860 eröffnet.

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